Warum das Pflegetagebuch keinen Sinn macht

Das Pflegetagebuch zum Nachweis der Pflegebedürftigkeit im häuslichen Umfeld ist in aller Munde. Die Pflegekassen fordern es immer gern im Widerspruchsverfahren, die Verbraucherschutzverbände empfehlen es dringend um einen Widerspruch erfolgreich zu führen oder als Nachweis zum Pflegeantrag. Die meisten „Fachleute“ raten ebenfalls dringend ein Pflegetagebuch zu führen, um die Gutachter (w/m) vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) sowie alle anderen Gutachter (w/m), die Pflegekassen und schließlich die Sozialgerichte von der Notwendigkeit einer Einstufung zu überzeugen. Gerade gestern wurde am Thementag „Pflege“ beim WDR in einer, ansonsten recht guten Berichterstattung, auf die Notwendigkeit eines Pflegetagebuchs hingewiesen – ja, es wurde sogar dringend empfohlen!

An dieser Stelle drängt sich eine Frage förmlich auf:

Warum wird dieses System nicht in andere Bereiche übernommen, wenn es doch so effektiv und sinnvoll ist?

Beispiel „Steuertagebuch“

Auf diese Weise könnten alle Steuerzahler zum Beispiel dem Finanzamt gegenüber darstellen, warum im vergangenen Jahr einfach nichts übrig geblieben ist und es im Gegenteil sogar zu steuerlich relevanten Verlusten gekommen ist. Das Finanzamt berücksichtigt dieses „Steuertagebuch“, die „Eindrücke“ aus dem Steuertagebuch werden berücksichtigt und fließen letztlich mit in die Ermittlung der tatsächlichen Steuerlast ein.

Falls es jemals soweit kommt, wird es sicher zu sehr hohen Steuerrückzahlungen seitens der Finanzbehörden kommen!

Beispiel „Reisetagebuch“

Nach einem, zunächst subjektiv empfundenen“, missglückten Urlaub stellen Urlauber in einem Reisetagebuch dar, welche Missstände die Rückforderung von geleisteten Reisekosten notwendig machen. Durch die Erkenntnisse aus diesem „Reisetagebuch“ wird dann die Höhe der Erstattung ermittelt, weil es schließlich keinen einzigen Grund gibt, an den Ausführungen einer Privatperson zu zweifeln. Auch dann nicht, wenn diese Privatperson fachlich überhaupt keine Ahnung von der Reisebranche hat.

Nun aber mal im Ernst:

Ein Pflegetagebuch ist keine Lösung

Vermutlich würde kein Pflegeberater, kein Sachverständiger und kein Rechtsanwalt das Führen eines Pflegetagebuchs empfehlen, wenn genügend Erfahrung im Umgang mit Pflegekassen vorhanden wäre. Hier plabbert der eine nach, was der andere ehemals propagiert hat.

Die Pflegesachverständigen im bundesweiten Pflegenetzwerk unterstützen Pflegebedürftige seit vielen Jahren pflegefachlich in deren Widerspruchs- und Klageverfahren. In keinem einzigen dieser individuellen Fälle, hat ein geführtes Pflegetagebuch, auch nur ansatzweise, die Entscheidung der Pflegekasse begünstigt.

Ein Pflegetagebuch zu führen bedeutet für pflegende Angehörige einen nicht zu unterschätzenden zeitlichen Aufwand. Gerade bei höheren Pflegestufen/Pflegegraden handelt es sich im Grunde bereits um eine fachliche Arbeit, die ausreichend Erfahrung in der Pflege anderer Personen voraussetzt.  Die Alternative sind Angaben persönlicher Natur und Argumente, die in einem Widerspruchsverfahren überhaupt keine Relevanz haben. Das Pflegetagebuch ist also definitiv nicht für die Durchsetzung eigener Ansprüche geeignet.

Die Praxis der letzten Jahre hat diesbezüglich folgendes gezeigt

Entweder die Inhalte eines mühevoll geführten Pflegetagebuchs werden überhaupt nicht gelesen und somit auch nicht berücksichtigt oder das Pflegetagebuch wird gelesen und die Inhalte werden im Zweifel sogar noch gegen die pflegebedürftige Person eingesetzt. Das geschieht nicht zuletzt deshalb, weil pflegende Angehörige nicht selten, viele nicht relevante Verrichtungen, ausführlich darstellen und dafür pflegerelevante Angaben vernachlässigen. Das liegt an Unwissenheit, mangelnder Erfahrung, aus Schamgefühl und / oder am nachvollziehbaren Stolz jedes einzelnen Menschen.

Fazit zum Pflegetagebuch

Das Pflegetagebuch war ursprünglich sicher eine gute Idee. Ist in der Praxis allerdings kein geeignetes Werkzeug um im Widerspruchsverfahren zur Einstufung einer Pflegestufen oder eines Pflegegrades eine getroffene Entscheidung zu revidieren.

Hoch geschätzte pflegende Angehörige, sparen Sie sich die Zeit ein Pflegetagebuch führen! Es ist nicht notwendig – nein, es kann sogar das Gegenteil erreichen!

Liebe Redakteure und „Pflegeexperten“, bitte recherchieren Sie ausführlich genug oder sammeln Sie ausreichend berufliche Erfahrung bevor Sie Menschen falsch informieren oder im schlimmsten Fall sogar beraten. Gerade pflegebedürftige Personen, die in Deutschland nach- wie vor keine Lobby haben, benötigen dringend Informationen aus der Praxis.

Bitte schreiben (Onlinemedien und Zeitungen), senden (Radio und Fernsehen) und beraten (Pflegeberater) Sie nicht alle den gleichen Unsinn ohne Ihr „Fachwissen“ durch eigene Erfahrungen in Frage zu stellen!

In der Welt der Pflege scheint besonders das Motto zu gelten: „Der wo ein Buch gelesen hat“. Kurz danach heißt es nicht selten „Der wo ein Buch geschrieben hat“.

In diesem Sinne, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!